Science 267, 1445-1449 (1995); aus dem Englischen übersetzt von G.J. Feistner

Mechanismen und Gene des Zellulären Selbstmords

Hermann Steller

Howard Hughes Medical Institute, Department of Brain and Cognitive Sciences and Department of Biology, Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, MA 02139, USA

Apoptosis ist eine morphologisch abgrenzbare Form des programmierten Zelltods, die eine bedeutende Rolle bei Entwicklung und Homöostase, sowie bei vielen Krankheiten, inklusive Krebs, AIDS und neurodegenerativen Störungen, spielt. Apoptosis wird durch die Aktivierung eines der Zelle inhärenten Selbstmordprogramms in Gang gesetzt. Die fundamentale Maschinerie für Apoptosis scheint in allen Säugetierzellen zu allen Zeiten grundsätzlich vorhanden zu sein, wobei die Aktivierung des Selbstmordprogramms jedoch durch viele verschiedene Signale, die sowohl vom intrazellulären als auch vom extrazellulären Milieu kommen können, geregelt wird. Genetische Studien am Fadenwurm Caenorhabditis elegans und der Fruchtfliege Drosophila melanogaster haben zur Isolierung von Genen geführt, die für die Induktion des programmierten Zelltods speziell erforderlich sind. Zumindest Teile des Apoptosisprogramms sind bei Würmern, Insekten und Wirbeltieren mehr oder weniger identisch.

Die meisten, wenn nicht alle tierischen Zellen besitzen die Anlage zur Selbstzerstörung durch Aktivierung eines inhärenten Selbstmordprogramms für den Fall, daß sie nicht länger gebraucht werden oder schwer beschädigt worden sind. Der Ablauf dieses Selbstmordprogramms ist oft begleitet von charakteristischen morphologischen und biochemischen Veränderungen, und diese Form des Zelltods hat den Namen Apoptosis bekommen [1]. Im Verlauf der Apoptosis kondensieren Zellnukleus und Zytoplasma und die sterbende Zelle fragmentiert oft in membrangebundene apoptotische Körper, die schnell von Makrophagen oder Nachbarzellen phagozytiert und verdaut werden. Auf diese Art und Weise werden tote Zellen schnell beseitigt, und jedwedes Auslaufen ihres schädlichen oder gar gefährlichen Inhalts wird vermieden. Im Gegensatz dazu wird bei einer Nekrose, einer krankhaften Form des Zelltods, die von einer überwältigenden zellulären Verletzung herrührt, eine Anschwellung und Lysis beobachtet. Dabei wird Zytoplasmamaterial frei, welches oft eine Entzündung auslöst. Apoptosis ist typischerweise begleitet von Nukleasenaktivität, welche die chromosomale DNA zunächst in große (50-300 Kilobasen) und dann in sehr kleine Oligonukleotide abbaut [2].

Es wird inzwischen generell akzeptiert, daß Apoptosis von zentraler Bedeutung für die Entwicklung und Homöostase von allen mehrzelligen Tieren ist. Apoptosis dient zum Beispiel als treibende Kraft für die Ausbildung von Organen [3], als wichtiger Mechanismus für die präzise Regulierung der Zellzahlen [4, 5] und als Abwehrmechanismus zur Entfernung von ungewollten und potentiell gefährlichen Zellen, wie Lymphozyten, die gegen die eigenen Zellen gerichtet sind [6], Zellen, die mit Viren infiziert sind [7, 8], und Krebszellen [9]. Daher ist es nicht verwunderlich, daß die Auslösung der Apoptosis sorgfältig kontrolliert wird. Es ist gezeigt worden, daß viele verschiedene Signale, die entweder von innerhalb oder außerhalb der Zelle stammen können, die Entscheidung zwischen Leben und Tod beeinflussen. Diese Faktoren sind unter anderem Zellinieninformation, Zelldefekt durch ionisierende Strahlung oder Viren, extrazelluläre Überlebensfaktoren, Wechselwirkungen zwischen Zellen, und Hormone. Diese unterschiedlichen Signale können das Apoptosis-Programm entweder aktivieren oder unterdrücken und ein und dasselbe Signal kann tatsächlich gegensätzliche Effekte bei unterschiedlichen Zelltypen auslösen.

Zusätzlich zu den nützlichen Effekten des programmierten Zelltods kann die unangebrachte Aktivierung der Apoptosis eine Vielfalt von Krankheiten verursachen oder wenigstens dazu beitragen, zum Beispiel bei AIDS [12], neurodegenerativen Störungen und ischämischen Schlaganfällen [5,13]. Die Erkenntnis, daß es sich bei der Apoptosis um einen aktiven, genetisch gesteuerten Mechanismus handelt, hat Anlaß zu dem Optimismus gegeben, daß es möglich sein könnte, Apoptosis durch die Entwicklung von Medikamenten, die den einzelnen molekularen Komponenten der Todesmaschinerie entgegenwirken, zu kontrollieren. Es hat sich jedoch als schwierig erwiesen, die Moleküle, die für Apoptosis verantwortlich sind, durch konventionelle biochemische und molekularbiologische Ansätze in Säugetieren zu identifizieren. Glücklicherweise häufen sich inzwischen die Hinweise, daß Apoptosis nach einem Mechanismus abläuft, der wenigstens teilweise während der ganzen tierischen Evolution erhalten geblieben ist. Daher können Ergebnisse von Versuchen an experimentell leichter zugänglichen Wirbellosen-Modellsystemen direkt von Bedeutung für das Verständnis des apoptotischen Mechanismus bei Wirbeltieren sein. In der Tat stammt vieles von dem, was wir heute über spezifische Zelltodgene wissen, von genetischen Studien am Fadenwurm Caenorhabditis elegans [14]. Eine große Anzahl Mutationen, die spezifische Stufen des programmierten Zelltods beeinflussen, sind von diesem Organismus isoliert worden, und die entsprechenden Gene sind ihrer sequentiellen Expression nach geordnet worden.

Der programmierte Zelltod in C. elegans kann in vier abgrenzbare Stufen unterteilt werden. Diese beinhalten die Entscheidung, ob eine bestimmte Zelle sterben oder ein anderes Schicksal annehmen wird, über den Tod der Zelle, über das Auffressen der toten Zelle durch Makrophagen, und über den Abbau des einverleibten Korpus. Mutationen, die jeden dieser Schritte beeinflussen, sind isoliert worden und diese Mutationen definieren 14 Gene, die im programmierten Zelltod des Fadenwurms zusammenarbeiten. Mutationen, die mit der Ausführung von Tod, Auffressen, oder Abbau interferieren, beeinflussen alle somatischen Zelltode, während Gene, die im Entscheidungsprozeß mitwirken, nur wenige Zellen betreffen. Es ist gezeigt worden, daß drei Gene den Entscheidungsprozeß aller somatischen Zelltode beeinflussen, nämlich ced-3, ced-4, und ced-9 (ced ist eine Abkürzung für 'cell death defective'). Die Aktivität von zweien dieser Gene, ced-3 und ced-4, ist notwendig, damit in sterbenden Zellen der Zelltod tatsächlich eintritt, und die Eigenschaften dieser Gene werden später summarisch beschrieben. Das dritte Gen, ced-9, ist notwendig, um Zellen, die überleben sollen, davor zu schützen, den programmierten Zelltod zu vollziehen [15]. Dieses Gen codiert für ein Protein, welches homolog zu der Bcl-2 Familie von Zelltodregulatoren ist [16, 17]. Weiterhin kann die Expression von menschlichem Bcl-2 den Zelltod in Nematoden verhindern und sogar teilweise die Funktionen von ced-9 ersetzen [16, 18]. Diese Ergebnisse deuten an, daß wenigstens einige Komponenten des apoptotischen Programms während des größten Teils der tierischen Evolution konserviert worden sind. Diese Hypothese findet Unterstützung in den Befunden, daß die Expression des antiapoptotischen Proteins p35 von Baculo-Viren vor dem programmierten Zelltod gleichermaßen in Insekten, Fadenwürmern und Säugetiernervenzellen schützen kann [19]. Die Proteine, die für die Wechselwirkung mit Bcl-2 und p35 von Bedeutung sind, sind noch nicht identifiziert worden, es ist aber wahrscheinlich, daß sie eine wichtige und konservierte Funktion im Ablauf des Zelltodprogramms haben.

In diesem Artikel werde ich mich auf neuere Fortschritte in der Charakterisierung der Eigenschaften des Zelltodprogramms und der Gene, die mit dem Ablauf der Apoptosis verwickelt sind, beschränken. Obwohl die genauen Mechanismen des Todes unbekannt sind, ist doch Fortschritt im Identifizieren von Schlüsselkomponenten der apoptotischen Maschinerie gemacht worden. Zunächst werde ich Arbeiten zusammenfassend besprechen, die andeuten, daß die Zelltod-Effektormoleküle, d. h. die Komponenten, die direkt für die morphologischen Veränderungen während der Apoptosis verantwortlich sind, zwar ständig präsent, aber in den meisten Säugetierzellen inhibiert sind. Dann werde ich verschiedene biochemische Mechanismen besprechen, die als mögliche Ursache des apoptotischen Todes vorgeschlagen worden sind. Weiterhin werde ich einen Überblick über die Hinweise geben, die Proteasen der ced-3/Interleukin 1b-konvertierenden Enzym (ICE)-Familie in die Auslösung der Apoptosis verwickeln. Schließlich werde ich einen Vorschlag machen, wie bestimmte Signalwege möglicherweise konvergieren, um ein gemeinsames apoptotisches Programm zu aktivieren.